Tragödie in der Oper

Personenschaden durch IT
Wie wichtig die richtige Ausgestaltung von Versicherungsbedingungen für IT-Haftpflichtversicherungen ist, zeigt nachstehender Schadenfall. Personenschäden sind zwar im IT-Bereich eher seltener anzutreffen. Im Schadenfall ist dann jedoch mit hohen Schadenersatzansprüchen immer zu rechnen. Oft treten im Arbeitsalltag Schäden ein, die der Einzelne zuvor als unwahrscheinlich eingestuft hat. Die Erstattung von Krankheitskosten, Anwalts- und Gerichtskosten, Schmerzensgeldforderungen und ggf. lebenslange Rentenzahlungen an den Geschädigten können im Extremfall die persönliche Existenz des IT-Experten schnell vernichten, da um sehr hohe Schadenersatzansprüche, oft vor Gericht, gestritten wird.

Steuerungssoftware verursacht Personenschäden

Für die Hubtechnik einer Theaterbühne erhielt unser IT-Freiberufler einen konkreten Auftrag für eine Steuerungssoftware. Gegenstand des Auftrags war mittels einer SPS-Software (Speicher-Programmierbare-Steuerung) die Theaterbühne mit vorbelegten Funktionen drehbar, kippbar und anhebbar zu machen. Der IT-Dienstleister erledigte zwar zügig seinen Programmierauftrag, jedoch unterblieben umfangreiche Tests vor Ort und eine detaillierte Einweisung bei den verantwortlichen Bühnentechnikern.

Der Schadenfall

Bei der Premierenvorstellung sollte die Theaterbühne, aus dramaturgischen Aspekten, zusammen mit der Opernsängerin zuerst angehoben und dann in eine leichte vertikale Schrägposition gebracht werden. Während der Aufführung kippte das besagte Bühnenteil in die vorgesehene Schräglage. Unmittelbar danach setzte die Theaterbühne den Kippvorgang ohne weiteres Eingreifen soweit fort, dass die Opernsängerin in den Orchestergraben rutschte. Die Bühnentechniker erkannten zwar das Unglück, konnten aber den Stoppvorgang nicht auslösen. Die Diva erlitt eine schwere Beinfraktur und zwei Bänderabrisse. Durch die anschließende Operation fiel die Opernsängerin für die restliche Spielzeit aus und konnte noch andere Engagements nicht wahrnehmen.

Beurteilung des Schadens

Der zuständige TÜV und die Berufsgenossenschaft stellten sehr schnell fest, dass kein Fehler in der mechanischen Bühnentechnik vorhanden war, sondern das die neue Steuerungssoftware des IT-Experten Programmiermängel hatte. Wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den IT-Dienstleister eingeleitet. Die verletzte Opernsängerin machte Schadenersatzansprüche in Form von Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Erstattung der Heilbehandlungskosten geltend.

Die IT-Haftpflichtversicherung des SPS-Programmierers nahm sich der Schadenregulierung sofort an. Neben den wichtigen IT-Vermögensschäden waren auch Personen- und Sachschäden bedingungsgemäß versichert.

Passive Rechtsschutzfunktion in der IT-Haftpflicht

Durch das eingeleitete strafrechtliche Verfahren hatte der IT-Experte zuerst einen eigenen Rechtsanwalt, ohne vorherige Absprache mit der Versicherungsgesellschaft, konsultiert. In diesem Fall übernahm der Versicherer die Rechtsanwaltskosten, da die zügige Abwicklung des Strafverfahrens für den Versicherer wichtig erschien und ein hauseigener Anwalt keine neuen Erkenntnisse zum Schadenfall beitragen hätte.

Die Übernahme der Kosten für die Strafverteidigung und auch die Kosten für die berechtigte Schadensabwehr ist der passiven Rechtsschutzfunktion einer IT-Haftpflichtversicherung zu zuordnen. Dies wird im § 150 (1) Satz 3 Versicherungsvertragsgesetz explizit geregelt: "Die Versicherung umfasst auch die Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren, das wegen einer Tat eingeleitet wurde, welche die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers einem Dritten gegenüber zur Folge haben könnte, sofern diese Kosten auf Weisung des Versicherers aufgewendet wurden."

Hinweis: der § 150 (1) Satz 3 wurde inzwischen mit dem neuen Versicherungsvertragsgesetz durch § 101 (1) Satz 2 wie folgt abgelöst: "Die Versicherung umfasst ferner die auf Weisung des Versicherers aufgewendeten Kosten der Verteidigung in einem Strafverfahren, das wegen einer Tat eingeleitet wurde, welche die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers gegenüber einem Dritten zur Folge haben könnte."

Das straf- und zivilrechtliche Gerichtsverfahren

Die eingesetzten Gutachter stellten vor Gericht fest, dass die erstellte SPS-Software des IT-Dienstleisters nicht den Sicherheitsstandards bei Bühnentechniken entsprach. Moniert wurde insbesondere, dass Sicherheitsroutinen und Abbruchfunktionen bei Fehlermeldungen nicht in ausreichendem Maße vorhanden waren und das eine Einweisung gar nicht stattgefunden hatte. Testläufe der erstellten Software wurden gar nicht durchgeführt.

Das Gericht befand den IT-Experten für das straf- und zivilrechtliche Verfahren für schuldig.

Regulierungskosten

Die gesamten Schadenkosten beliefen sich auf knapp € 20.000. Dabei fielen für das straf- und zivilrechtliche Verfahren an Rechtsanwaltskosten € 5.500 an . Die verletzte Operndiva machte Ansprüche in Höhe von € 14.000 geltend.

Einschluss von grober Fahrlässigkeit mitversichert?

Im beschriebenen Schadenfall hat sicherlich der IT-Experte die erforderliche Sorgfalt in hohem Maße außer Acht gelassen (grob fahrlässiges Handeln). Es stellt sich hier die Frage, ob und in welchem Umfang fahrlässig verursachte Schäden bei der IT-Haftpflichtversicherung mitversichert gelten.

Das Zivilrecht unterscheidet zwei Arten der Fahrlässigkeit:

  • Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße nicht beachtet wurde.
  • Einfache Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet werden konnte bzw. nicht mit absichtlicher Unachtsamkeit beachtet wurde.

 

Eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung wird angenommen, wenn die Anforderungen an die Sorgfalt jedem anderen in der Situation des Betroffenen ohne weiteres aufgefallen wären.

Diese Unterscheidung wird im Rahmen von IT-Haftpflichtversicherungen nicht vorgenommen. Fahrlässigkeit, egal welcher Ausprägung, gilt mitversichert.

Vorsatzdelikte sind bei jeglicher Versicherungsart immer ausgeschlossen.

Erprobungs- oder Experimentierklausel

(Fallstricke in vielen Versicherungsbedingungen)

Sofern diese Klauseln im Versicherungsvertrag vereinbarten gelten, schränken diese den Versicherungsschutz erheblich ein. Dies ermöglicht den Versicherungsgesellschaften, mit Hinweis auf diese Ausschlüsse, auf einfache Art solche Schadenfälle abzulehnen. In weniger geeigneten Bedingungswerken sind beispielsweise folgende Formulierungen der Erprobungs- und Experimentierklausel anzutreffen:

  1.  "Nicht versichert sind… Ansprüche, die daraus resultieren, dass Produkte und Leistungen, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht ausreichend - z.B. nicht dem Stand der Technik gemäß oder bei Software ohne übliche und angemessene Programmtests oder sonstiger Weise – erprobt waren."
  2. "Nicht versichert sind ... Ansprüche aus Sach- und Vermögensschäden durch Erzeugnisse, deren Verwendung oder Wirkung im Hinblick auf den konkreten Verwendungszweck nicht nach dem Stand der Technik ausreichend erprobt waren. Gab es keinen Stand der Technik für die Erprobung muss eine ausreichende Erprobung in sonstiger Weise erfolgt sein."
  3. "…ausgeschlossen sind Schäden, die durch Mehraufwand hätten vermieden werden können."

Diese Formulierungen bergen ein großes Streitpotential zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsgesellschaft. Wann liegen angemessene Programmtests oder eine ausreichende Erprobung vor?

Beim Abschluss einer IT-Haftpflichtversicherung muss neben hohen Versicherungssummen bei Personen- und Sachschäden sowie bei Vermögensschäden auch auf ein klar formuliertes Bedingungswerk ohne versteckte Klauseln geachtet werden. Die beschriebenen Erprobungs- oder Experimentierklauseln finden sich in sehr guten Versicherungsbedingungen überhaupt nicht!

Fazit

Unser IT-Experte hatte vor Abschluss der IT-Haftpflichtversicherung auf solche Fallstricke in den Versicherungsbedingungen geachtet. Ansonsten hätte der Versicherer den Schaden wegen Nichterprobung ganz sicher abgelehnt. Die Gesamtkosten hätte der IT-Dienstleister aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Glücklicherweise war die Verletzung an der Operndiva relativ schnell verheilt und die Gesamtkosten von nur € 20.000 erstaunlich niedrig. Wäre aus dem Sturz in den Orchestergraben eine dauerhafte Berufsunfähigkeit entstanden, wären sicherlich Schadenersatzansprüche im hohen sechsstelligen €-Bereich geltend gemacht worden.

Der Autor behält sich alle Rechte am Artikel vor.
© Dipl.-Kfm. Manfred Vosseler